In ihrem lesenswerten Buch "Raccoons - In History, Folklore and Today''s Backyards" stellt Virginia C. Holmgren die Stellung des Waschbären in der indianischen Mythologie und die voller Irrtümer steckende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser neuen Tierart nach der Wiederentdeckung Amerikas durch Christoph Columbus dar. Der folgende Artikel basiert größtenteils auf dieser Quelle.
Waschbären in der indianischen Mythologie
Als eine der am häufigsten vorkommenden Säugetierarten des amerikanischen Kontinents spielte der Waschbär in der Mythologie vieler Indianerstämme eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt aufgrund seiner Gesichtsmaske, die an die von den Indianern in Ritualen aufgetragene schwarz-weiße Gesichtsbemalung erinnerte, wurden ihm teilweise sogar mystische Kräfte zugesprochen. Viele der mündlich überlieferten Fabeln drehten sich darum, wie er andere Tiere austrickste oder um sein Geschick bei der Futtersuche. Somit nahm er eine Stellung ähnlich des Fuchses in mitteleuropäischen Fabeln ein. Neben seinem immer wieder gerühmten Geschick beim Fangen von Flusskrebsen drehte sich etwa eine Geschichte vom Stamm der Caddo um sein untrügliches Gespür für den richtigen Zeitpunkt, an dem die schnell verderblichen Dattelpflaumen reif waren. Häufig mussten die Indianer nämlich die Erfahrung machen, dass die Früchte just in der Nacht vor der beabsichtigten Ernte schon von einigen Waschbären verspeist wurden. Waschbären wurden von den Angehörigen verschiedener Stämme auch als Haustiere gehalten, was bereits die allerersten Entdecker aus der alten Welt zu berichten wussten. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass auch ein paar Waschbären im Kochtopf landeten und viele mehr wegen ihres Pelzes gejagt wurden. Aus diesem wurde nicht nur warme Winterkleidung genäht, auch als schmückendes Accessoire waren etwa ihre Schwänze unverzichtbar.
Welche Eigenschaft des Waschbären für den jeweiligen Stamm mit die größte Bedeutung hatte, lässt sich ziemlich gut an dem für ihn verwendeten Begriff in der vom Stamm gesprochenen Sprache erkennen. Die Azteken nannten ihn beispielsweise mapachitl, was so viel wie "der alles in die Hände nimmt" bedeutet. Seine spanische Bezeichnung mapache leitet sich von diesem Begriff ab. Die Algonkin nannten ihn aroughcun - es existieren viele alternative Schreibweisen wie etwa arocun - was mit "der mit den Händen kratzt" übersetzt werden kann. Von aroughcun leitet sich auch die heutige englische Bezeichnung raccoon ab. Man achte auf das doppelte c; raccoon zählt zu den am häufigsten falsch geschriebenen Wörtern der englischen Sprache überhaupt. Für die Dakota-Sioux war er dagegen nichts weniger als der weekah tegalega, "der Magische mit dem gemalten Gesicht", und für die Huron ein ee-ree-ah-gee, was auf seinen langen, geringelten Schwanz anspielt. Der Eriesee, einer der fünf Großen Seen, wurde nach dem gleichnamigen Stamm benannt; Quellen, die diese Bezeichnung mit dem kanadischen Panther in Verbindung bringend, z. B. der deutschsprachige Wikipediaartikel über die Erie , sind allesamt falsch!
Artbeschreibung nach der Entdeckung Amerikas
Christoph Columbus kann sich nicht nur rühmen, den amerikanischen Kontinent wiederentdeckt zu haben, sondern er war tatsächlich auch der erste Mensch, der über den Waschbären etwas schriftlich zu Papier brachte. Ganz genau geschah dies am 17. Oktober 1492 auf Long Island, wo er einige Waschbären neben einer Fischerhütte spielen sah. Er nannte die neue Art perro mastin, was übersetzt so viel wie "clownähnlicher Hund" bedeutet. Es wurde in der Folgezeit leider nicht besser, was eine korrekte wissenschaftliche Beschreibung des Waschbären anging. In schöner Regelmäßigkeit wurde der Waschbär von Naturforschern und anderen interessierten Zeitgenossen abwechselnd mit Hunden, Füchsen, Katzen, Ratten, Mardern, Dachsen oder Bären in Verbindung gebracht. Im 1551 erschienen Werk "Historia Animalium" des Schweizer Wissenschaftlers Conrad Gesner tauchte der Waschbär sogar als zwei verschiedene Tierarten auf: einmal als "Fischer genannter Hund" und an einer anderen Stelle gar als "missgebildeter Hund". Es dauerte Jahrhunderte bis das in Enzyklopädien oder anderen Schriftstücken niedergeschriebene Wissen den tatsächlichen äußeren Merkmalen und dem Verhalten des Waschbären einigermaßen nahe kam.
Carl von Linné ordnete den Waschbären schließlich den Bären zu und gab ihm bei der Einführung seiner bahnbrechenden Nomenklatura in der zehnten Auflage seiner "Systema Naturae" im Jahr 1758 den lateinischen Namen Ursus lotor. Lotor lässt sich auf Deutsch mit "Wäscher" übersetzen, so dass der heute gebräuchliche deutsche Name für die Tierart genau dem damals von Carl von Linné eingeführten lateinischen Namen entspricht. Eine altertümliche deutsche Bezeichnung für den Waschbären, die vor allem von Pelzhändlern verwendet wurde, lautet Schupp. 1780 erkannte der deutsche Biologe Gottlieb Conrad Christian Storr dagegen, dass der Waschbär einer eigenen biologischen Familie und nicht etwa den Bären angehört und nannte diese Procyon, was wörtlich übersetzt "Vorhund" bedeutet. So kam der Waschbär schließlich zu seinem heutigen wissenschaftlichen Namen Procyon lotor. Romantiker dürfen jedoch der Theorie anhängen, dass Storr bei der Benennung den Waschbären nicht für eine Art primitiven Hund hielt, sondern eher den Stern Prokyon im Sternbild des Kleinen Hundes im Sinn hatte und damit auf die nächtliche Lebensweise der maskierten Schlitzohre anspielen wollte.
Anekdoten aus dem 19. und 20. Jahrhundert
Im Zuge der Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents begann im 19. Jahrhundert schließlich die großangelegte Jagd der Siedler auf den Waschbären, vor allem seines Pelzes wegen. David Boone und Davy Crockett, zwei in Amerika überaus populäre Trapper, trugen allerdings nicht, wie an an vielen Stellen behauptet wird, eine der typischen mit einem Schweif versehenen Waschbärmützen. Sogar in der großen Politik mischten Waschbären mit. So wurde 1841 der im Wahlkampf als "ganzer Waschbär" angepriesene Kandidat der Demokraten, William Henry Harrison, zum Präsidenten gewählt. In den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zogen außerdem zwei Waschbären als Haustiere von Calvin und Grace Coolidge bzw. Herbert und Lou Hoover ins Weiße Haus ein. Ironischerweise geschah dies vor dem Hintergrund, dass im gleichen Zeitraum überall auf der Welt Waschbärpelze in großer Mode waren, vor allem bei amerikanischen Studenten. Zur Pelzgewinnung wurden derart viele Waschbären erlegt, dass ihre Bestände lokal zusammenbrachen. Während des Zweiten Weltkriegs erholten sich diese jedoch rasch wieder. In den Fünfziger Jahren begannen die Waschbären schließlich ihren Siegeszug als Kulturfolger in die Städte Nordamerikas, nachdem erste Pioniere schon in den Zwanziger Jahren die Vorstädte Cincinnatis unsicher machten. Doch auch in naturnahen Habitaten gibt es mit Bestandsdichten von oft deutlich mehr als zehn Tieren pro Quadratkilometer heute wohl mehr Waschbären als je zuvor. Hierzu dürfte die Ausrottung oder Dezimierung fast aller natürlicher Feinde des Waschbären ihren Teil beigetragen haben. Samuel I. Zeveloff schätzt in "Raccoons: A Natural History" beispielsweise, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts fast zwanzig mal mehr Waschbären geben dürfte als während des absoluten Tiefpunkts der Bestandszahlen in den Zwanziger Jahren.
Erst in den Achtziger und Neunziger Jahren wurden jedoch die ersten Sachbücher veröffentlicht, in denen das Verhalten des Waschbären größtenteils korrekt und umfassend beschrieben wurde. Hierbei darf natürlich Ulf Hohmann nicht vergessen werden, dessen Arbeiten maßgeblich zum Verständnis des Sozialverhaltens des Waschbären und seiner Ausbreitung in Deutschland beigetragen haben.
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Bilder
- [1] "Carved Raccoon" aufgenommen von Cowtools und unter der Lizenz Creative Commons Attribution-Noncommercial 2.0 veröffentlicht
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