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Verbreitung des Waschbären in Deutschland

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Das Aussetzen von zwei Waschbärpärchen am hessischen Edersee im Jahr 1934 markierte den Beginn der nahezu vollständigen Besiedlung Deutschlands durch den Waschbären. Die Bestandszahlen liegen heute im sechsstelligen Bereich. Waschbären können lokal zu einer Gefahr für Vogelkolonien werden, größere ökologische Schäden in der mitteleuropäischen Umwelt sind jedoch nicht zu erwarten.

Geschichte der Ausbreitung in Deutschland

„Nazi raccoons on the warpath ... in a furry blitzkrieg“

Deutsche kommen im englischen Schmierblatt „The Sun“ ja sowieso meist nur in SS-Uniformen vor, aber selbst in der dämlichsten Schlagzeile steckt gelegentlich das eine oder andere Fünkchen Wahrheit. Tatsächlich existiert in Deutschland die mit Abstand größte Population der bei den Redakteuren der „Sun“ offensichtlich unbeliebten Maskenträger außerhalb Nordamerikas. Und tatsächlich geschah die Ansiedlung des Waschbären in Deutschland zur Zeit des Dritten Reiches.

Ende April 1934 erteilte nämlich die Hermann Göring unterstehende Jagdbehörde dem Geflügelzüchter Rolf Haag die Erlaubnis zwei Waschbärpärchen am hessischen Edersee westlich von Kassel auszusetzen. Augenscheinlich war man also auch im Preußischen Landesjagdamt in Berlin davon überzeugt, dass die damals recht wertvollen Pelzlieferanten die „heimische Fauna bereichern“ würden, wie es Haag ausdrückte. Die Tiere sollten aber unter strikter Beobachtung bleiben, was dem Vorhaben eigentlich den Todesstoß versetzt hätte, da telemetrisches Wildlife Monitoring damals noch nicht en vogue war. Rolf Haag hat aber sowieso nicht auf die Antwort der Jagdbehörde gewartet, sondern die beiden hochträchtigen Weibchen und die zwei stolzen Papas am 12. April 1934 einfach so ausgesetzt! An der Mär, dass Hermann Göring persönlich das Aussetzen der Waschbären befohlen hätte, ist also nichts dran. Wenn man von späteren undokumentierten Vorfällen absieht, gehen heute alle Waschbären im nord-, mittel- und süddeutschen Ausbreitungsgebiet auf diese zwei Waschbärpärchen zurück! Wenngleich sich europäische und amerikanische Waldgebiete der gemäßigten Zone nur unwesentlich voneinander unterscheiden, stellte das gewässer- und waldreiche Gebiet rund um den Edersee doch ein ideales Habitat zur Entwicklung einer bestandsfähigen Population dar. Andere Ansiedlungsversuche, zum Beispiel 1929 in der Eifel oder 1935 in der Schorfheide, verliefen nämlich im Sande.

Der Edersee in Hessen

[1] Der Edersee in Hessen

Es gibt jedoch noch einen zweiten „Ausbruchsherd“, der entscheidend für die Verbreitung des Waschbären im brandenburgischen Raum und den angrenzenden ostdeutschen Bundesländern war. Hier gelang 1945 etwa zwei Dutzend Waschbären nach einem Bombentreffer die Flucht aus einer Pelztierfarm in Wolfshagen bei Strausberg. Während die Ausbreitung anfangs nicht ganz so schnell und vor allem nicht so weiträumig wie in Nordhessen vonstatten ging, werden seit einigen Jahren in Brandenburg Abschusszahlen bzw. Bestandsdichten gemessen, die sogar noch über den dortigen liegen. Man kann einzelne Tiere der beiden Verbreitungsgebiete übrigens gut voneinander unterscheiden. Sowohl genetisch, da sie sich ja auf einige wenige Gründertiere zurückführen lassen, als auch anhand ihres Parasitenbefalls. Während nämlich fast drei Viertel aller Edersee-Waschbären mit dem Waschbärspulwurm infiziert sind, ist dieser bei den Waschbären aus dem brandenburgischen Verbreitungsgebiet äußerst selten. In Sachsen-Anhalt, wo eine Infektionsrate von knapp unter 40 % gemessen wurde, treffen die beiden Populationen derzeit aufeinander.

Bestandszahlen

Verbreitung des Waschbären in Deutschland

[1] Verbreitung des Waschbären in Deutschland: Bei der Jagd getötete oder von Jägern tot aufgefundene Waschbären in den Jagdjahren 2000/01, 01/02 und 02/03 in den deutschen Landkreisen. Die Zahlen entsprechen dabei der Summe aus allen drei Jahren. Es ist zu beachten, dass die jährlichen Abschusszahlen seit 2003 noch einmal signifikant angestiegen sind. (Bitte klicke auf die Grafik, um eine vergrößerte Ansicht aufzurufen.)

Über die genaue Zahl an Waschbären in Deutschland und dem angrenzenden Ausland, wohin es einige abenteuerlustige Exemplare ebenfalls schon verschlagen hat, existieren heute keinerlei seriöse Schätzungen mehr. Eine absolute Anzahl wäre aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate auch starken saisonalen Schwankungen mit einem Höchststand im April nach der Geburt der Welpen unterworfen. Während man in den 1950er Jahren noch von einigen hundert Waschbären ausging, schätzte man ihre Zahl im Jahr 1970 schon auf etwa 20.000 Tiere. Heute dürften es wohl mehrere hunderttausend sein, was alleine schon die in den letzten Jahren immens gestiegenen Abschusszahlen verdeutlichen, die im Jagdjahr 2003/04 bei gemeldeten 21.149 Waschbären lag. Die im Zuge der globalen Erderwärmung immer häufiger zu erwartenden milden Winter wie etwa der Winter 2006/07 dürfte eine weitere erhebliche Bestandssteigerung mit sich bringen, da dadurch die Überlebenschancen der Jungtiere des letzten Jahres durch den reduzierten Kalorienverbrauch zur Wärmeregulierung und die früherere Verfügbarkeit von Futter merklich ansteigen.

Der Waschbär als Neozoon

(Als Neozoen bezeichnet man fachsprachlich alle Tiere, die durch menschlichen Einfluss in Gebiete eingeführt wurden, in denen sie ursprünglich nicht heimisch waren, und wo sie jetzt stabile Populationen bilden)

Spätestens seit die Abschusszahlen die Marke von 20.000 getöteten Tieren pro Jahr durchbrochen haben, was weniger für eine verstärkte Jagd auf den Waschbären als für seine immer größere Verbreitung mit wachsenden Bestandsdichten spricht, wird wieder verstärkt vom „Faunenverfälscher“ Waschbär gesprochen. Genauso wie der oft im Gleichklang genannte, aus Osteuropa eingewanderte, Marderhund, der vor allem in Ostdeutschland anzutreffen ist, würde er das Ökosystem Deutschlands stören. Als eine von den Nazis™ ausgesetzte Tierart ist er natürlich der ideale Sündenbock für lokal zusammenbrechende Bestände an Bodenbrütern. Selbst absurde Anschuldigungen, oft genug aus den Reihen der Jägerschaft, muss er sich dabei gefallen lassen. So wird beklagt, dass er immer mehr den Fuchs verdränge... als ob die Rotpelze von den Jägern bislang als besonders schützenswerte Lieblinge angesehen worden wären. Dabei unterscheidet sich nicht nur die Habitatsnutzung – bislang gibt es nur vereinzelte Augenzeugenberichte über Füchse, die ihren Bau in zehn Meter hoch liegenden Baumhöhlen eingerichtet haben – sondern auch die Ernährung grundlegend voneinander. Waschbären fressen viel mehr pflanzliche Nahrung und Tiere, die am oder im Wasser leben, als Füchse Im Gegensatz dazu zählen Mäuse, die Leib- und Magenspeise der meisten Füchse, nicht unbedingt zu den Grundnahrungsmitteln von Waschbären, da sie nicht reaktionsschnell genug sind um sie zu erbeuten.

Waschbären können aber in der Tat bodenbrütenden Vogelarten zum Verhängnis werden, die es in den raubtierarmen deutschen Wäldern bislang sehr gut hatten. Wennglich Waschbären keine gezielte Jagd auf Beutetiere machen, kann es für eine lokale Brutkolonie verhängnisvoll sein, wenn die Eier für einen Waschbären einfach zu erreichen sind. Wie Frank-Uwe Michler bei seiner Untersuchung der Ernährungsgewohnheiten der Waschbären der Müritzer Seenplatte gezeigt hat, wird aber selbst diese Gefahr häufig aufgebauscht. [WAD] In den Kotproben der hiesigen Waschbären fanden sich nämlich nur vereinzelt Überreste von Eiern oder Jungvögeln. Weiter gilt, dass ein Waschbär selten das Wagnis eingeht, ein Nest in den Baumwipfeln auszuräubern. Wenn ihm die Eier aber in künstlich angelegten Nistplätzen wie auf dem Präsentierteller angeboten werden, sagt er natürlich nicht nein.

Mit Vorsicht zu genießen ist außerdem das Argument, dass sich der Waschbär in Mitteleuropa so rasend schnell ausbreiten konnte, liege daran, dass er hier keine natürlichen Feinde habe. Nur der Uhu fange gelegentlich das ein oder andere Jungtier. Das ist soweit richtig, aber auch in Amerika spielen natürliche Feinde so gut wie keine Rolle bei der Bestandsdezimierung mehr! Es gibt zwar etliche große Räuber, die es auf ihn abgesehen haben. Vor allem (Rot-)Luchse sind hier zu nennen, aber auch bei Pumas, (Rot-)Wölfen, großen Raubvögeln und Schlangen steht gelegentlich Waschbär auf der Speisekarte. Im Hinblick auf die absoluten Todeszahlen spielen diese natürlichen Feinde aber nur eine untergeordnete Rolle gegenüber Jagd, Straßenverkehr, Krankheiten, Unfällen und schlechter Witterung. Jedoch ist auch dies nur die halbe Wahrheit, denn früher war deren Einfluss durchaus beträchtlich. Es ist nur eben so, dass der Mensch auch in Amerika viele Jahrhunderte lang nichts unversucht verlassen hat, die Anzahl großer Raubtiere und Fleischfresser so weit als möglich zu reduzieren um so die eigenen Marktchancen zu verbessern... wie es ein McKinsey-Berater formulieren würde. Die heute teilweise enormen Bestandsdichten von mehr als 20 Tieren pro Quadratkilometer in vielen amerikanischen Wald- und Sumpfgebieten wären andernfalls sicher nicht möglich.

Innerhalb weniger Jahrzehnte ist es dem Waschbären gelungen, weite Teile Deutschlands und sogar der angrenzenden Länder zu besiedeln, was ihn zu einem der erfolgreichsten Neozoen des europäischen Kontinents macht. Ganz objektiv kann jedoch behauptet werden, dass der Waschbär bislang keine ökologischen Schäden von nennenswertem Ausmaß in Mitteleuropa verursacht hat, was man vom Kaninchen in Australien und anderen bedauernswerten Fällen leider nicht sagen kann. Generell kann festgestellt werden, dass die mitteleuropäische Flora und Fauna, deren Arten keinen derartigen Spezialisierungsgrad wie diejenigen auf Inseln oder in abgelegenen Landstrichen aufweisen, meistens robust auf eingewanderte Tier- und Pflanzenarten reagiert hat. Statt immer wieder über den „Faunenverfälscher“ Waschbär zu schimpfen, sollte man sich meiner Meinung nach lieber freuen, dass wieder etwas mehr Leben in die von größeren Raubtieren rigoros gesäuberten Wälder Deutschlands einkehrt. Wolf und Luchs sind inzwischen ja ebenfalls wieder auf dem Vormarsch.

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Bilder

Quellen

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Last Updated on Monday, 13 April 2009 00:46